Einleitung
Der regelmäßige Lauf der Gestirne, die Drehung der Erde um sich selbst, ihr Unlauf um die Sonne und die Zyklen des Mondes waren den Meschen aller Kulturkreise und Epochen natürliche Grundlagen zur Zeitmessung. Die Grundeinheiten Tag, Monat und Jahr zu erfassen und ihre Länge zu messen sind Gegenstand der astronomischen Chronologie.
Die seefahrenden Völker Skandinaviens brachten ihre Kenntnisse der Astronomie mit nach Island (Rauth 1994). Die Isländer konnten die Himmelsrichtungen festlegen, eine ortsgebundene Zeitmessung vornehmen und führten auch Positionsmessungen von Sternen und Sonne durch, welche uns durch die Aufzeichungen, die zur Zeit des isländischen Freistaates entstanden, überliefert sind.
Die Himmelsrichtungen als Zeitgrenzen
Eine Bestimmung der Tageszeiten, und zwar unabhängig vom Ort, wurde schon sehr früh durch die Zuordnung von Zeitgrenzen, den eyktir, an den Gang der Sonne durch die acht Weltgegenden erreicht. Zeugnis darüber liefern die Rechtsaufzeichnungen ebenso wie die Sagas.
Das Verfahren dazu setzte nur die Kenntnis der Himmelsrichtungen und die Sichtbarkeit der Sonne voraus, und konnte daher vorzüglich während der langen und hellen Sommermonate eingesetzt werden, in denen die Mobilität des Volkes auch am größten war. Wie die Einteilung vorgenommen wurde beschreibt Björn Halldórson: ,,Willst du die Sonnenscheibe benutzen, so setzte sie zunächst fest nieder, beschreibe einen Kreis darum, setze einen Punkt oder ein Sichtzeichen in die Mitte, es darf nicht gebogen sein. Wenn du um Mittag, wenn der Schatten am kürzesten ist, über der Scheibe sitzest, dann hast du Norden gefunden, da ziehst du eine Linie zum Mittelpunkt und quer über die Sonnenscheibe und gerade von Norden gegenüber ist Süden. Mitten zwischen Nord und Süd zur rechten Hand ist Osten, und zur linken Hand ist Westen, da du nach Norden gewandt bist.„
Dadurch wird die Basis für das Zeitsystem definiert. Es sind nun zu unterscheiden:
- Die acht ættir sind die acht Weltgegenden zu je 45°, in deren Mitte die gleichbenannten Himmelsrichtungen liegen. So reicht also norðrætt von NNW über N bis NNO.
- Die acht eyktir sind hingegen die Zeitspannen, die die Himmelskörper (Sonne, Mond, Sterne) zum überqueren der acht ættir brauchen.
Der Unterschied zwischen ætt und eykt ist grundsätzlich. Die ættir sind unveränderliche Raumteilungen, die eyktir verändern ihren Gebrauch und Zeitwert mit den Jahreszeiten und der geographischen Breite des Beobachtungsortes. So geht die Sonne am Helgafell auf Snæfellsnes (geographische Breite 65° N) im Osten am 21. März um 6 Uhr auf, erreicht den Ostpunkt am 21. Juni um 6 Uhr 45 und geht am 23. September wieder um 6 Uhr auf. Zum Vergleich geht in Tunis (geographische Breite 35° N) die Sonne am 21. März auch um 6 Uhr auf, steht am 21. Juni aber erst um 8 Uhr 35 im Osten.
Das heißt, daß in dem Vierteljahr vom Frühlingsäquinoktium bis zur Sommersonnwende bzw. in dem anschließenden Zeitraum bis zum Herbstäquinoktium, die Zeitdifferenz für ,,Sonne im Osten„ in Island nur 45 Minuten beträgt, in Tunis hingegen mehr als zweieinhalb Stunden. Daraus folgt, daß je nördlich die Breite ist, desto weniger schwankt der Zeitwert des Sonnenstandes über einem festen Punkt.
In Herbst und Winter wird bei Unsichtbarkeit der Sonne die Zeit durch den Verlauf der Tageshelligkeit und den Gang der Sterne bestimmt. Finn Magnusson berichtet: ,,In Island wird im Winter nur das Siebengestirn (die Plejaden) benannt (nämlich stjarna, der Stern), da sich nach ihm jedermann stets im Hinblick auf die Ermittlung und Bestimmung der Nachtzeit richtet. …Bei klarem Himmel werden die langen Abende nach des Siebengestirns Stellung über den verschiedenen Tagmarken des Gehöfts eingeteilt. Ist das Siebengestirn untergegangen, so richtet man sich nach anderen dann sichtbaren Sternen oder Sternstellungen, wie nach dem Nordstern, auch Leitstern genannt, nach dem Sirius oder Blaustern oder nach den Fischern (Orions Gürtel).„
Die Einteilung des Himmels in ættir wird auch heute in Island noch auf den Rosetten, welche an Aussichtspunkten im ganzen Land angebracht sind, durchgeführt.
Der altisländische Kalender
Die älteste Spur einer vom kirchlichen Kalender abweichenden Jahreszählung findet sich in Aris Isländerbuch (um 1123). Zur Zeit der Einsetzung des Alþings (um 930), d.h. 70 Jahre vor Annahme des Christentums, wurde per Gesetz beschlossen von dem bisherigen norwegischen Mondkalender abzugehen und eine ausschließlich auf die Sonne bezogene Zeitrechnung durchzuführen. Das Jahr hatte 364 Tage. Das sind erstens 52 Wochen mit 7 Tagen und zweitens 12 Monate mit 30 Nächten sowie vier weitere Tage. Beide Rechnungsweisen haben nichts mit der kirchlichen zu tun. Die einzige Gemeinsamkeit untereinander ist aber auch nur, daß das Jahr in beiden 364 Tage aufweisen soll.
Die 364 Tage kommen nicht daher, daß man damit die wahre Jahreslänge erfassen wollte, sondern damit das Jahr in seinen 52 Siebenerwochen glatt aufgehen konnte. Von Monaten ist in diesem Wochenjahr nicht die Rede. Als Wochenbeginn galt vor der Christianisierung der Þorstag, der heutige Donnerstag, dann ab 1007 der Sonntag. Die Siebentagewoche war also schon vor der Christianisierung bekannt.
Wie man den auf ein volles Jahr mit 365 1/4 Tagen fehlenden Betrag von eineinviertel Tagen schalten sollte, haben nach Aris Bericht die Þingleute nicht gewußt, obwohl in Norwegen schon im 6. Jahrhundert die 365 Tage des Sonnenjahres bekannt waren. Daß man einer Schaltung der eineinviertel Resttage des Wochenjahres trotzdem braucht, fanden die Isländer bald heraus: ,, …da merketen sie am Sonnengange, daß den Sommer zurück zum Frühling verlangte.„
Hier erwies sich die Einteilung des Jahres in Wochen als recht praktisch, da sie den Gedanken an eine Schaltwoche, die sumarauki, nahelegte. þorstein Surtr, der am Breiafjörður lebte, war es, von dem berichtet wird: ,, Als dann die Männer zum þing kamen, da machte er auf dem Gestzesfelsen den Vorschlag, daß sie einen jeden siebten Sommer um eine Woche vermehren sollten, und zusehen wie es da gelinge.„
In den Sagas, in denen die Wochenzählung vorherrscht, gilt die häufige Bestimmung at Þvímánaði sumars stets für den Freitag an dem ,,acht Wochen zum Winter sind„. Ein ,,halber Monat„ ist zwei Wochen, und auch in der Njálssaga sind zwei Monate gleich acht Wochen.
Was die Zwölfteilung des Jahres in dreißignächtige Monate mit Schaltung von vier Tagen betrifft, so scheint es, daß sie vor allem schriftlich festgehalten war, aber nicht vom Volk verwendet wurde. Der volkstümliche Monat hatte auf Island vier Wochen und damit 28 Tage, war jedoch unabhängig vom Mond.
Interessant ist weiters die Regelung der Feste. Zu Weihnachten wurde das Julfest, ursprünglich das Fest der Wintersonnwende, gefeiert. Das isländischer Wort für Weihnachten ist noch heute jól, der 25. Dezember wird jóladagur genannt. Der Monat zu dieser Zeit hieß früher jólmánaðr und gehörte zu den gelehrten ,,Buchmonaten„, die im Volke niemals Wurzel geschlagen haben (siehe auch Björnsson 1992). Dem jólmánaðr steht der Julmond, der jólatungl, gegenüber wobei ,, als Julmond soll gezählt werden, der am Dreizehntetag (am 6. Januar) am Himmel ist, gleich ob er jung oder alt ist.„
Volkstümliche Messungen der Zeit – Die Schafthöhe der Sonne
Die Schafthöhe der Sonne, oder sól skapthá, ist ein nur auf Island überliefertes Verfahren zur Zeitmessung auf Reisen. Die Bedeutung liegt darin, daß zu christlicher Zeit eine Einhaltung der Sonntagsruhe, die mit einem früheren Arbeits- bzw. Reiseende am vorhergehenden Samstag begann, gesetzlich vorgeschrieben war und bei Mißachtung durch Geldstrafen geahndet wurde, die auch erfolgte wenn der Wanderer nicht die Zeit zur Bestimmung der eyktir hatte. Diese Satzungen lauten:
- ,,Wenn die Leute zum Frühjahrs- oder Herbstþing reisen, dürfen sie ihre Bude herrichten bis zur Nacht und Lasten führen am Sonnabend bis die Sonne schafthoch ist.„
- ,,…und haben sie Recht zu fischen bis dahin, wann die Sonne schafthoch ist.„
- ,,Ein Gode darf selbst am Sonnabend nicht später zum Frühjahrsþing kommen, als daß er seine Bude hergerichtet habe, wenn die Sonne schafthoch ist. Da ist die Sonne schafthoch: Wenn ein Mann steht auf dem Strand, da wo See und Land sich begegnen bei halbfallener See und er könnte aufs Meer hinaussehen da, wo die Sonne zu Wasser geht. Und es scheint ihm, wenn ein Speer unter die Sonne gestellt wäre, und wenn der Schaft so hoch wäre, daß der Mann mit der Hand zur Tülle greifen könnte, daß die Spitze unter der Sonne rühre, des Speerschafts Ende aber nieder in die See, wenn er es bei heiterm Himmel sehen könnte, und er mäße 9 Fuß davon.„
Die umständliche Beschreibung des Verfahrens bedeutet nichts anderes, als daß der Beobachter auf einer ebenen Fläche hinreichender Ausdehnung stehen soll, damit er auch seinen Speer dort auf gleicher Höhe in neun Fuß (Die Länge des altisländischen Fuß ist 32.67 cm.) Entfernung anbringen kann. Schafthöhe der Sonne ist dann, wenn der Unterrand der Sonne auf Höhe der Spitze ist.
Die Verwendung des Speers ist nicht unsinnig. Viele Reisende führten diese auch als Wanderstock verwendbare Waffe mit sich. Die Größe des Speers hing von der Körpergröße ab, was auch in der Formulierung berücksichtigt wird.
Die Schafthöhe ändert sich im Lauf des Jahres. Es zeigt sich, daß der Unterschied zwischen Schafthöhe und Untergang der Sonne im Februar rund dreieinhalb Stunden, Mitte März eineinhalb Stunden und Mitte Juni zweieinhalb Stunden beträgt, was sich dann bis zum November wiederholt. Von November bis Februar bleibt die Sonne stets unter Schafthöhe, was aber sowieso nicht von Interesse ist, da in dieser Zeit ein Reisen fast unmöglich war. Bemerkenswert ist die Anpassung an die Bedürfnisse des Volkes. Die Reisezeit ist nämlich zu den wichtigen þingzeiten am längsten.
Ort der Veröffentlichung
Mitteilungen der Österreichisch-Isländischen Gesellschaft in Wien, 2-95, pp:4-6, 1995.
Literatur
- H. Karttunen, P. Kröger, H. Oja, M. Poutanen und K. H. Donner(Hrsg.), Astronomie, Springer-Verlag 1990
- Michael Rauth, Altisländische Astronomie, Mitteilungen der Österreichisch-Isländischen Gesellschaft in Wien, 2-94, 1994
- Otto Siegfried Reuter, Germanische Himmelkunde, J.F. Lehmanns Verlag, München 1934
- Arni Björnsson,Die alten isländischen Monatsnamen, Mitteilungen der Österreichisch-Isländischen Gesellschaft in Wien, 9-92, 1992.